Wer in der Schweiz lebt oder arbeitet, muss sich gegen gewisse Risiken versichern. Wir sagen dir, welche Versicherungen obligatorisch und welche Policen sinnvoll sind.
Von Bernhard Bircher-Suits
«Die sogenannte Versicherungsdichte (Prämienvolumen pro Kopf) ist in der Schweiz sehr hoch», sagt Hato Schmeiser. Er ist Lehrstuhlinhaber und Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen. Die hohe Zahlungsbereitschaft für Versicherungsprodukte hänge mit den «hohen Einkommen und Vermögen in der Schweiz zusammen». Kein Wunder, versucht die Versicherungsbranche laufend, den risikoscheuen und wohlhabenden Schweizerinnen und Schweizern neue Versicherungsprodukte schmackhaft zu machen.
Erhebliche Wissensdefizite bei den Konsumenten
Was der Branche beim Marketing in die Hände spielt: Nicht nur neu in die Schweiz eingewanderte Menschen haben bei Finanz- und Versicherungsfragen grosse Wissenslücken. Gemäss einer Studie der Universität St. Gallen im Schweizer Versicherungsmarkt bestehen in der Schweizer Bevölkerung «erhebliche Wissensdefizite bei den Konsumenten». Rund ein Drittel der Bevölkerung «zeigt erhebliche Defizite beim Basisfinanzwissen; zu Versicherungsfragen gibt es noch grössere Defizite». Wer einige grundlegende Dinge über Versicherungen weiss, findet sich im helvetischen Versicherungsdschungel aber rasch zurecht.
Die Pflichtausstattung: Krankenkasse, Unfallversicherung und Auto-Haftpflicht
Jochen Pernegger, Managing Director FinanceScout24, sagt: «Wer neu in die Schweiz kommt, braucht nicht gleich ein komplettes Versicherungspaket, sondern erstmal die obligatorischen und wichtigsten.» Neben einer Kranken- und Unfallversicherung ist nur noch eine Auto-Haftpflichtversicherung in der Schweiz gesetzlich vorgeschrieben. Eine Fahrzeughaftpflicht benötigst du zudem nur, wenn du dein Fahrzeug in der Schweiz zulassen lässt. Aber der Reihe nach - zuerst solltest du ein besonders wichtiges Gut schützen: deine Gesundheit.
Krankenversicherung: Die Grundversicherung ist Pflicht
Das «Bundesgesetz über die Krankenversicherung» (KVG) dient dazu, die Bevölkerung im Krankheitsfall finanziell abzusichern. Wer in der Schweiz wohnt oder arbeitet, benötigt eine obligatorische Grundversicherung bei einer Krankenkasse. Wenn du neu in der Schweiz lebst, hast du drei Monate Zeit, um dich bei einer Kasse anzumelden. Du kannst deine Krankenkasse frei wählen und hast die Qual der Wahl aus insgesamt 56 Krankenversicherungen (Stand 2021). Stellt die vom Kanton bezeichnete Behörde fest, dass du deiner Versicherungspflicht nicht rechtzeitig nachgekommen bist, weist diese Behörde dich einem Versicherer zu.
Prämie variiert nach Wohnort, Alter und Kostenbeteiligung
Die in der Schweiz relativ teure Krankenversicherung übernimmt zum Grossteil deine Kosten für Arztbesuche, Medikamente und Spitalkosten. Deine Prämienhöhe ist abhängig von deinem Wohnort, Alter sowie der gewählten Kostenbeteiligung bzw. «Franchise». Es gilt die Regel: Je höher die Franchise, desto tiefer die monatliche Prämie. Die Maximalfranchise beträgt 2’500 Franken im Jahr. Ist die Franchise ausgeschöpft, bezahlt die Krankenkasse die Kosten. Du zahlst aber weiterhin 10 Prozent des Betrages selbst, den sogenannten «Selbstbehalt». Der jährliche Höchstbetrag des Selbstbehalts beläuft sich für Erwachsene auf 700 Franken, bei Kindern sind es 350 Franken. Wichtig zu wissen: Alle Krankenkassen bezahlen in der Grundversicherung die gleichen Leistungen bei Krankheit, Unfall und Mutterschaft. Ein Wechsel der Grundversicherung ist daher ohne Leistungseinbussen möglich. Die für dich jeweils günstigste Grundversicherung für deine Wohngemeinde findest du zum Beispiel mit dem kostenlosen Tool iLocator von Homegate.
Zusatzversicherungen sind freiwillig und oft teuer
Zusatzversicherungen zur Grundversicherung sind meist teuer und für gesunde junge Menschen in der Regel unnötig. Solche freiwilligen Zusatzversicherungen unterstehen dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Bei ihnen besteht keine Aufnahmepflicht. Jochen Pernegger, Managing Director FinanceScout24, sagt: «Bei Zusatzversicherungen der Krankenkasse ist Vorsicht geboten. Gerade wer erst im höheren Alter in die Schweiz umzieht, sollte das Kleingedruckte genau lesen. Oft wird zum Beispiel bei einer Zahnzusatzversicherung so vieles ausgeschlossen, dass diese Versicherung keinen Sinn ergibt.»
Tipp: Deutlich günstiger als private oder halbprivate Zusatzversicherungen sind Spitalversicherungen mit flexibler Abteilungswahl, sogenannte Flex-Versicherungen. Bei ihnen gilt: Je höher die Kostenbeteiligung durch den Versicherten, desto tiefer ist die Prämie.
Gut zu wissen: Auch ohne Zusatzversicherung kann man in vielen Spitälern für ein Einzel- oder Doppelzimmer aus dem eigenen Portemonnaie bezahlen (Upgrade).
Unfallversicherung bei Angestellten obligatorisch
Die Unfallversicherung schützt in der Schweiz beschäftigte Arbeitnehmende vor den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen oder Berufskrankheiten. Was du wissen solltest: Angestellte sind in der Schweiz obligatorisch gegen die finanziellen Folgen von Berufs- und Freizeitunfällen versichert – vorausgesetzt, sie arbeiten mindestens acht Stunden pro Woche beim gleichen Arbeitgeber. In diesem Fall kannst du auf die zusätzliche Unfalldeckung in der Krankenkasse verzichten und Prämien sparen.
Obligatorische Auto-Haftpflichtversicherung
Die Auto-Haftpflichtversicherung deckt Schäden, die du mit deinem Fahrzeug an Dritten verursachst. Sie deckt somit keine Schäden am eigenen Fahrzeug. Die Auto-Haftpflichtversicherung ist in der Schweiz obligatorisch, während die Kaskoversicherungen freiwillig sind. Die einzige Ausnahme: Bei Leasing-Fahrzeugen ist eine Kaskoversicherung obligatorisch. Ob für dich eine Teil- oder Vollkasko sinnvoller ist, hängt davon ab, wie viel Risiko du selbst tragen willst und kannst und wie alt dein Auto ist.
Versicherungsdeckungen vom eigenen Risiko abhängig machen
Wer sich kostengünstig und risikogerecht versichern will, sollte seine ganz individuelle Risikoanalyse machen: Was kann mir, meiner Familie, meiner Mietwohnung oder den eigenen vier Wänden passieren? Besteht an meinem Wohnort zum Beispiel wirklich ein erhöhtes Erdbebenrisiko? Würde ein solches Risiko meine finanzielle Existenz bedrohen? Oder könnte ich den Schaden problemlos mit bestehenden Versicherungen oder dem Ersparten begleichen? Als Faustregel gilt: Grosse und folgenschwere Risiken sollten Private unbedingt versichern. Bei kleinen Risiken kann man sich die Prämie oft sparen. Professor Hato Schmeiser von der Uni St. Gallen sagt: «Handy- oder Handtaschen-Versicherungen sind hierfür Beispiele. Verzichten würde ich auch auf eine Autoinsassen-Unfallversicherung und viele der angebotenen Reiserücktrittsversicherungen. Eine Sterbegeldversicherung würde ich auch nicht abschliessen.»
Privathaftpflicht und Hausratversicherung gehören zu den sinnvollen Policen
Eine Privathaftpflicht ist in der Schweiz zwar freiwillig, aber empfehlenswert. Sie deckt Schäden, die Versicherte Dritten zufügen. Für Hundehalter*innen ist sie in vielen Kantonen obligatorisch. Die meisten Personen in der Schweiz haben zudem eine Hausratversicherung. Sie schützt dein Mobiliar unter anderem gegen Wasserschäden oder Einbrüche. In den meisten Kantonen ist sie freiwillig. Als Hauseigentümer*in brauchst du in den meisten Kantonen zudem eine obligatorische Gebäudeversicherung. Sie übernimmt Feuer- und Elementarschäden.
Fazit: Vor jedem Versicherungsabschluss sollte eine Analyse bestehender Deckungen, eine Risikoanalyse und ein Prämienvergleich stehen. Der Konkurrenzkampf unter den Gesellschaften hat zur Folge, dass du für praktisch gleichwertige Versicherungslösungen bis zur Hälfte der Prämie sparen kannst – und zwar Jahr für Jahr. Bei Hausrat-, Privathaftpflicht- und Fahrzeugversicherungen kann sich eine Recherche auf Vergleichsportalen wie zum Beispiel FinanceScout24 lohnen.