Besser entscheiden – in fünf Schritten. Die New Yorker Ökonomin Allison Schrager erklärt im Interview, wie Risikomanagement funktioniert. Und dass dieses Wissen auch im normalen Leben ganz nützlich ist.
Ihr Buch beginnt mit Ihrem Besuch in einem Bordell in Nevada. Was hat eine Forscherin in einem Bordell zu suchen?
Ich ging einer Frage nach: Warum ist legale Prostitution in Nevada so erfolgreich? Wo die Freier dort doch deutlich mehr zahlen müssen als auf der Strasse – und den Frauen dort trotzdem weniger Geld bleibt.
Und wie lautet die Antwort?
Ganz einfach: Risikomanagement. Für die Prostituierten kompensiert die relative Sicherheit den Verdienstausfall, und die Freier müssen keine Angst haben, ins Gefängnis zu kommen. Es ist unterm Strich einfach ein guter Deal für beide Seiten, die auf diese Weise ein kalkuliertes, eben ein „smartes“ Risiko eingehen.
Was genau ist ein smartes Risiko?
Ein smartes Risiko bringt dich deinem angepeilten Ziel näher. Und gleichzeitig minimiert es die Gefahr, damit zu scheitern.
Wovon reden wir eigentlich, wenn wir das Wort "Risiko" verwenden?
Die meisten Menschen betrachten Risiko als etwas Schlechtes. In der Ökonomie ist damit aber etwas anderes gemeint: nämlich alle Möglichkeiten – gute wie schlechte.
Sie haben für Ihre Forschung mit vielen erfolgreichen Menschen gesprochen. Was haben diese gemeinsam?
Sie sind alle sehr gute Risikomanager. Erfolgreiche Menschen machen sich bewusst, warum sie Risiken eingehen, und wissen, wie sie die Gefahren minimieren. Das Erstaunliche: Viele dieser Menschen hatten keine spezielle Ausbildung. Trotzdem managen sie Risiko auf eine planmässige, methodische Weise – so als hätten sie Finanzmanagement studiert. Die Gesellschaft tendiert dazu, Menschen zu glorifizieren, die grosse Risiken eingegangen sind.
Warum?
Unsere Gesellschaft hat eine seltsame Beziehung zum Risiko. Wenn wir sagen, etwas ist riskant, meinen wir im Normalfall: Tu es nicht! Aber wir bewundern auch waghalsige Menschen, die mit dem Kopf durch die Wand gehen. Eine Gruppe, die dabei fast übersehen wird, ist jene, die sehr sorgfältig und bedacht Risiken eingeht.
Wie treffen wir bessere Entscheidungen?
Das kann man trainieren. Man kann lernen, Wahrscheinlichkeiten realistischer einzuschätzen und die richtigen Werkzeuge einzusetzen. Die sind nicht nur in der Finanzwelt interessant – sondern für jeden Bereich des Lebens.
Stellen wir uns vor: Ich bin Journalist, backe aber auch fantastische Cupcakes. Soll ich meinen Job aufgeben und einen Cupcake-Shop eröffnen?
Wenn das Ihr Traum ist, dann sollten Sie das wahrscheinlich tun. Aber Sie sollten es eben auch auf kluge Weise machen. Nicht Hals über Kopf einen Riesenkredit aufnehmen, sondern sich über verschiedene Finanzierungen absichern. Das Wichtigste ist: Es muss wirklich Ihr Ziel sein.
US-Ökonomin Allison Schrager: "Menschen sollten sich nicht fragen, ob es sinnvoll ist, ein Risiko einzugehen. Sondern wie sie es kalkulierbar machen können."
Sie schreiben, dass sich Menschen ihrer genauen Ziele gar nicht bewusst sind. In Ihrem Buch führen Sie das Beispiel an, dass "Ich will heiraten" und "Ich will glücklich verheiratet bleiben" keine identischen Ziele sind.
Genau. Im ersten Fall ist es rational, die erste Person zu heiraten, die einen wirklich liebt. Im zweiten braucht es aber andere Überlegungen. Diese können zu derselben Person führen, müssen aber nicht.
Sie definieren fünf Schritte zur besseren Entscheidungsfindung. Über den ersten, die Ziele, haben wir bereits gesprochen. Was sind die nächsten vier?
Der nächste ist, verzerrte Wahrnehmungen loszuwerden, die sind Gift für das Risikomanagement. Klassisches Beispiel: Wir denken, dass beim Pokern unser aktuelles und das nächste Blatt irgendwie zusammenhängen. Oder der Kriminelle, der meint, weil er mit Steuerhinterziehung durchgekommen ist, wird er auch mit Betrug durchkommen. Das sind alles Sachen, die wir sicher zu wissen glauben. Und so entstehen Fehler. Der dritte Schritt wäre: nicht mehr Risiko einzugehen als nötig.
Wie funktioniert das?
Im Finanzwesen erreicht man das mit Diversifizierung. Lieber Aktien von 500 Firmen besitzen als von 50. Das ist ein sehr wichtiges Konzept, nicht nur bei der Anlage. Nehmen wir wieder den Journalisten: Ich könnte mich darauf konzentrieren, der beste Schreiber zu werden. Aber dann bin ich nur so lange sicher, solange man Schreiber braucht. Ich könnte zum Beispiel auch zusätzlich Programmieren lernen.
Kommen wir zum vierten Schritt.
Das ist das eigentliche Management. Wenn wir uns Risiko als Verteilung von guten und schlechten Optionen vorstellen, wollen wir die schlechten so gering halten wie möglich. Eine der Möglichkeiten ist Hedging. Dabei gebe ich potenzielle Vorteile auf, um potenzielle Nachteile abzufedern. Ein einfaches Beispiel: gegen das eigene Fussballteam wetten. Wenn es gewinnt, fühlt man sich zwar etwas schlechter, weil man Geld verloren hat. Aber dafür hat man auch einen Trost, wenn sie verlieren. Die andere Möglichkeit ist die Versicherung. Dabei behalte ich alle Vorteile und bezahle jemand anderen dafür, die Nachteile zu übernehmen.
Allison Schrager: "An Economist Walks into a Brothel. And Other Unexpected Places to Understand Risk"
Wir haben schon darüber gesprochen, dass sich diese Mechanismen auf alle Lebensbereiche übertragen lassen. Was wäre Hedging und Insurance im Kontext eines Dates?
Hedging wäre zum Beispiel, sich nie ganz auf jemanden einzulassen. Man erlebt zwar nie das ganze Hoch der Liebe, aber man wird auch weniger verletzt. Insurance wäre, sich jemanden in der Hinterhand zu halten, auf den man im Zweifelsfall zurückgreifen kann. Das sind aber moralisch eher zweifelhafte Tipps.
Wir haben noch nicht über die Unsicherheit gesprochen.
Das ist der letzte Punkt, der immer zu wenig Aufmerksamkeit kriegt. Es können immer Dinge passieren, mit denen man nie im Leben gerechnet hätte. Man sollte eine gute Risikomanagement-Strategie haben, aber so flexibel bleiben, dass man noch reagieren kann. Nehmen wir wieder den Cupcake-Shop. Sie haben einen wunderbaren Businessplan, haben alles ausgearbeitet, Kredite aufgenommen – und plötzlich kommt es zu einem grossen Ausbruch von Diabetes. Damit konnten Sie nicht rechnen. Dann müssen Sie flexibel genug sein, Ihre Pläne zu ändern.
Wenn ich morgen meinen Chef treffe, um eine Gehaltserhöhung zu verhandeln: Was sollte ich im Vorfeld bedenken?
Zuerst einmal die Klassiker: Ich sollte mir einen Überblick über die finanzielle Situation meines Unternehmens verschaffen und eine realistische Einschätzung haben, was mein Beitrag ist. Aber es gibt in Verhandlungen auch Hedging-Strategien. Das heisst, ich biete meinem Chef mehrere Optionen an: Ich möchte gerne zehn Prozent mehr Gehalt, würde mich aber auch mit fünf Prozent zufriedengeben, wenn ich dafür mehr Urlaubstage bekäme. Das schwächt die Verhandlungsposition für die erste Option, aber die Chance steigt, dass ich überhaupt mit etwas rausgehe.
Und wenn ich zwei Start-ups vor mir habe: In welches soll ich investieren?
Das ist einfach: in beide.
Nach all Ihren Forschungen: Treffen Sie heute bessere Entscheidungen?
Nicht immer, aber meistens. Das Training, das Bewusstmachen der Mechanismen hilft auf jeden Fall.
Kann das jeder lernen?
Na klar! Was ich in meiner Forschung gelernt habe: Jeder hat das in sich. Jeder hat einen Aspekt im Leben, wo er Risiken sehr klug und methodisch eingeht. In anderen Bereichen wird man aber überrollt, wenn man die Wissenschaft dahinter nicht versteht. Wenn man Menschen darauf hinweist, dass sie diese Mechanismen bereits anwenden, können sie sie besser auf andere Lebensbereiche übertragen.